Sunday, September 21, 2014

Der Port Clyde Vorfall

Max Forrester schloss die Tür und verbarrikadierte sie mit dem sperrigen Kleiderschrank, ehe er seine Glock 22 in das Holster schob und Parker auf das quietschende Motelbett hievte. Der junge Arzt war anämisch, die Bisswunde an seiner Schulter der einzige Farbtupfer auf seiner kreidebleichen Haut. Er stöhnte als der ältere Soldat seine Füße auf die Bettdecke hob und seinen Kopf auf das winzige Kissen bettete.

Forrester blickte in das schmerzverzerrte Gesicht des Mannes. Dr. Parker hatte in Port Clyde definitiv Forresters Respekt gewonnen. Nicht zum ersten Mal ertappte er sich dabei, den jüngeren Mann gedankenverloren anzustarren. Diesmal jedoch zog die blutende Wunde neben seinem Hals Forresters Aufmerksamkeit an sich. Er musste sie stillen.

„Parker, bleiben Sie bei Bewusstsein. Sie müssen mir helfen. Meine Sanitäterausbildung liegt schon etwas zurück.“

Hastig begann er, das vergilbte Bettlaken in Streifen zu reißen. Mehrfach gefaltet, presste er es auf die offene Wunde und umwickelte die Schulter mit einem separaten Streifen. Parker stöhnte laut auf.

„Ist der Verband zu fest?“

Der junge Arzt packte Forresters Shirt und zog ihn zu sich. Seine blutunterlaufenen Augen zitterten.

„Die Mutation ist unglaublich schnell. Sie sind hier nicht sicher.“

Forrester blickte auf. Scharrende Geräusche entlang der Hausmauer erinnerten ihn an ihre Verfolger. Er streifte Parkers Hand ab und spähte durch die Fensterläden in die Dunkelheit. Das schwache Sternenlicht spiegelte sich in einer wogenden Menge von undefinierbaren Gestalten mit glänzenden Leibern, die das alte Motel umschlichen.

„Mir ist kalt.“ Forrester wandte sein Gesicht Parker zu, der mit klappernden Zähnen auf dem Bett lag. Trotz der Dunkelheit war sein bleiches Gesicht deutlich zu sehen. Forrester zog seine Waffe, entsicherte sie und legte sich neben Parker auf das Bett. Einen Arm um den jüngeren Mann gelegt, schloss er die Augen und lauschte. Parker legte die Wange auf seine Brust und er sog den Geruch des jungen Mannes ein, der sich zitternd an ihn schmiegte.

Wie waren sie nur in diese aussichtslose Lage geraten? Kritische Situationen bei bewaffneten Konflikten kannte Forrester als ehemaliger Soldat zu genüge. Doch feindselige Meeresungeheuer auf zwei Beinen, die Menschen mit einer schrecklichen Krankheit infizierten waren neu. Wie sollte man einen Feind bekämpfen, der sich bereits im eigenen Körper eingenistet hatte?

Forrester blickte auf seinen schwer atmenden Gefährten, der sich in seinen Armen unaufhaltsam zu einer tödlichen Bestie verwandeln würde.

Erst vor wenigen Tagen hatte er den jungen Gerichtsmediziner aus Boston im Anwesen von Lionel Powell kennengelernt. Der exzentrische Milliardär hatte sich in den Kopf gesetzt, die Existenz von „Meerjungfrauen“ zu beweisen. Max musste trotz seiner misslichen Lage auflachen. Der alte Bastard hatte keine Ahnung womit er es zu tun hatte. Von wegen Meerjungfrauen…

Als der mysteriöse Todesfall in Port Clyde der Polizei bekannt wurde, hatte Powell weder Kosten noch Mühen gescheut, den von der Staatsanwaltschaft beauftragten Gerichtsmediziner ausfindig zu machen und in einer Nacht und Nebel-Aktion in sein luxuriöses Anwesen in Portland zu entführen, wo Max erstmals die Bekanntschaft von Dr. Nick Parker gemacht hatte.

Parker hatte wenig Begeisterung gezeigt, als der alte Narr mit Fotos von angespülten Tierkadavern ankam, die angeblich sterbliche Überreste menschenähnlicher Meeresbewohner zeigten. Forrester war damals überzeugt, dass es sich um Filmrequisiten handelte, doch die gute Entlohnung ließ ihn schweigen. Selbst wenn Powell das Haus des Weihnachtsmanns gesucht hätte, wäre Forrester für genug Geld an den Nordpol gefahren und hätte müde lächelnd eine Expedition durch den Schnee angeführt.

Parker hatte schließlich zugestimmt, Forrester als inoffiziellen Begleiter mit nach Port Clyde zu nehmen, damit der alte Mann das Obduktionsergebnis aus erster Hand erfahren würde. Forrester konnte sich denken, was Parkers Kollegen vom FBI von dieser Vereinbarung gehalten hätten.  Parker hätte wohl allem zugestimmt, um endlich aus dem Anwesen des alten Exzentrikers zu entkommen.
In der Leichenhalle des Pen Bay Medical Centers von Rockport, Maine, hatte gleich die erste Überraschung auf die beiden gewartet. Die Leiche der jungen Frau wies laut Dr. Parker nicht nur eine Bisswunde am Genick auf, sondern zeigte auch auffällige Mutationen im Halsbereich, die rudimentären Kiemen ähnelten. Dr. Parker stellte darüber hinaus fest, dass der Tod der jungen Frau ausschließlich auf Kreislaufversagen zurückzuführen war. Nicht der Biss an sich war tödlich, sondern die nachfolgende körperliche Veränderung schien zu einem Herzstillstand geführt zu haben.
Die Kollegen vom FBI untersuchten zur selben Zeit den Fundort der Leiche in Port Clyde. Forrester hatte darauf bestanden, mit Parker ebenfalls dort aufzutauchen um weitere Nachforschungen anzustellen.

Damit begann eine Kette seltsamer Ereignisse an dessen Ende Forrester und Parker auf einem schäbigen Motelbett lagen und die Ungewissheit verdammten.

Das Kratzen wurde lauter. Scharfe Krallen glitten von der Holzfassade langsam über die hölzernen Fensterläden. Max richtete seine Glock auf das Fenster und wartete darauf, dass etwas geschah. Die Situation war aussichtlos, aber wenigstens ein paar der Kreaturen würde er mit sich in den Tod reißen.

Parkers Griff um seinen Bauch wurde fester. Hatte er Angst? Hatte er bereits den Kampf gegen das Monster in seinem Blut verloren?

„Max?“ Forrester erstarrte beim Klang seines Vornamens aus Parkers Mund. Parker hatte seinen Vornamen noch nie benutzt. Er drückte den jungen Mann fester an sich und presste seine Wange an Parkers Kopf auf seiner Brust.

„Ich bin hier, Nick. Gleich ist es vorbei.“

Schlurfende Schritte näherten sich der verbarrikadierten Tür. Ein dumpfes Pochen ertönte. Die Waffe unverändert auf das Fenster gerichtet konzentrierte sich Forrester auf den rasenden Herzschlag des Mannes an seiner Seite.

Noch vor wenigen Stunden war Forrester nur das unkooperative und feindselige Verhalten der Bewohner von Port Clyde seltsam erschienen. Als die Stadt jedoch plötzlich wie leergefegt war und alle Türen offenstanden, dämmerte ihm, dass der alte Powell zumindest dahingehend recht hatte, dass in Port Clyde seltsame Dinge vor sich gingen.

Forrester und Parker waren Fußspuren gefolgt und hatten die Bewohner in zahllosen Booten vorgefunden, die in der Nacht aufs Meer hinausliefen. Neugier hatte zuletzt Vorsicht überwunden und die beiden waren ebenfalls in ein kleines Motorboot gestiegen und auf die Inselgruppe The Brothers hinausgefahren, wo sich die Bewohner von Port Clyde versammelten und hinaus auf den offenen Atlantik starrten.

Forrester war das Blut in den Adern gefroren, als plötzlich eine gebückte Gestalt aus dem Meer kroch und seinen mit messerscharfen Zähnen bestückten Kiefer in den Hals einer jungen Frau verbiss. Der Schrei des Mädchens hatte das Geräusch der Brandung übertönt und das Blut in Forresters Adern gefrieren lassen. Es war jedoch Parker, der aus dem Boot sprang und auf das Mädchen zulief. Forrester folgte ihm und brachte die Bestie mit zwei gezielten Schüssen seiner Glock zu Fall. Die Fleischwunde am Hals des Mädchens blutete und die junge Frau verlor sofort das Bewusstsein, als Parker sie in seine Arme nahm und zurück zum Boot rannte. Zu Forresters Überraschung hinderten die Umstehenden die beiden nicht an der Flucht. Doch während der Überfahrt nach Port Clyde erkannte Forrester ihren fatalen Fehler. Das Mädchen hatte noch in Parkers Armen begonnen, sich zu verwandeln und senkte in einem unbeobachteten Moment seine Zähne in die Schulter des jungen Arztes. Nach einem kurzen Handgemenge mit dem mutierten Wesen konnte Forrester die Kreatur über Bord werfen. Mit schreckgeweiteten Augen bemerkte er Parkers blutende Wunde und sah das Entsetzen im Gesicht des jungen Mannes.

Zurück an Land stützte Parker sich schwer auf Forresters Schultern. Forrester hatte gerade die FBI-Zentrale von den Vorkommnissen auf Port Clyde unterrichtet, als er eine ganze Horde gebückter Kreaturen aus dem Wasser steigen sah. Parker schwer auf seiner Schulter lastend, hatte Forrester sich mit ihm im nächstgelegenen Gebäude verschanzt: einem schäbigen zwei-stöckigem Motel.

Hier endete also ihr Abenteuer. Forrester musste sich eingestehen, dass seine Hand zitterte, während er die Waffe auf die Gestalt richtete, die sich im gleißenden Scheinwerferlicht vor dem Fenster abzeichnete.

Das Geräusch des Militärhubschraubers war das letzte, das Forrester wahrnahm, ehe sich die Zähne der Kreatur in seinen Armen langsam in seinen Nacken bohrten.

Chris Redfield & Piers Nivans - Resident Evil 6

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