Monday, June 2, 2014

Ewigkeit

Das Haus war traumhaft schön. Meine Fingerspitzen glitten über die glatten, blendend weißen Wände. Ich genoss die Kühle darunter und stellte mir vor, dass dies das Gefühl sein musste, wenn man wusste: Hier bin ich zu Hause. Nicht in einem Zimmer in einem schäbigen Motel oder einem Jugendwohnheim, sondern tatsächlich in  einem eigenen Zuhause.

Ich durchschritt die modern eingerichteten Räume mit vorsichtigen Schritten, stets mit der Befürchtung die kostbaren Fußböden mit meinen alten Schuhen zu beschmutzen. Ich blickte nach unten und bemerkte, dass ich gar keine Schuhe oder Socken trug. Lediglich eine weiße Unterhose. Die selbe Unterhose, die mir Hank gestern Nacht leidenschaftlich vom Körper gerissen hatte.

Hank. Was für ein Glück ich hatte, einen Mann wie ihn getroffen zu haben.

Gutaussehend, offensichtlich wohlhabend und mit einer Menge versauter Ideen im Kopf.  Nie zuvor war ich so glücklich, wie in der kurzen Zeit, seit ich ihn kennengelernt hatte.

Ich hatte nie besonderes Glück mit Männern. Als arbeitsloser Jugendlicher in der Großstadt blieben mir viele Türen verschlossen. Gelegenheitsjobs brachten nicht viel ein und Geld von fremden Männern zu nehmen, mit denen man ab und zu das Bett teilte, schien mir schon damals eine inhaltslose Verschwendung meiner Jugend zu sein. Trotzdem bereute ich nichts. Um ehrlich zu sein wäre ich Hank gar nicht begegnet, hätte ich nicht das schnelle Geld gebraucht, das man auf diese Weise machen konnte.

Doch Hank war anders. Das wusste ich, als ich ihn das erste Mal sah. Er war keiner der verbitterten alten Kerle, die sich im Alltag gehen ließen und in Kauf nahmen, dass junge Kerle wie ich sie nur gegen Kohle verwöhnten. Er war ein Playboy. Blendend aussehend. Braungebrannte Haut, fitnesstudiogestylter Körper. Geschmackvolle Tätowierungen, die man durch sein hauchdünnes, weißes Hemd sehen konnte. Goldene Härchen auf der muskulösen Brust, die das tief geschnittene Hemd nur spärlich bedeckte. Er hätte an jenem Abend jeden in dieser heruntergekommenen Bar haben können. Doch er wollte mich.

Ich erinnere mich noch an seine dunklen Augen, die meinen schlanken Körper musterten. Ob er mir ansah, dass meine Klamotten viel zu eng anliegend waren? Ob er wusste, dass mir einfach das Geld fehlte um mir passende Sachen zu kaufen und ich immer noch die Sachen trug, die ich schon mit Fünfzehn getragen hatte?
Unsere Blicke trafen sich kurz und er winkte mich mit einem Kopfnicken zu sich. Der Rest ist Geschichte. Nein, eine unsagbar kitschige Romanze, die kein Ende zu nehmen schien - und auch nicht enden sollte.

Ich genoss jeden Moment mit Hank. Auch jetzt vermisste ich seine Nähe, seinen starken Körper, der sich an meinen presste. Fordernd, unnachgiebig. Ich genoss die absolute Unterwerfung, die Hank beim Sex forderte. War ich ein Masochist im Bett? Scheißegal wie man es nannte. Ich fand es einfach nur geil.

Ich liebte Hank so sehr, dass jeder Moment schmerzte, in dem er nicht bei mir war. Ich war nicht gewohnt, ohne ihn aufzuwachen, seine Arme nicht um mich zu fühlen.

Ich blieb im Badezimmer stehen und blickte in den Spiegel. Mein Bartschatten irritierte mich und meine Wangen schienen hohl und eingefallen zu sein. Ob ich Hank so gefiel? Ich sollte vielleicht etwas zunehmen. Apropos, erwartete Hank von mir, dass ich für ihn kochte? Ich schämte mich bei dem Gedanken, Hank käme hungrig nach Hause und ich hatte nichts für ihn vorbereitet. Sowas machte man doch in einer Beziehung, oder?

Nicht, dass ich damit Erfahrung hatte. Ebensowenig wie mit kochen. Egal, kochen konnte man lernen. Ich wusste ohnehin nicht was Hank gerne aß.

Ich öffnete den Spiegelschrank und suchte nach Schaum und einer frischen Rasierklinge. Ich war diese modernen Wegwerfdinger gewohnt, aber Hank schien eine altmodische Klappklinge zu benutzen. Ein alter Griff und etwas das aussah wie ein Schleifstein lagen neben der Dose mit Schaum, aber eine Klinge fand ich nicht. Ich durchsuchte den Schrank von oben bis unten, ohne Erfolg. Stattdessen fühlte ich mich seltsam schuldig. Hank hatte viele Medikamentenschachteln in diesem Schrank. Bestimmt war es ihm nicht recht, dass ich hier herumstöberte. Hank würde mir bald ohnehin eigene Rasiersachen besorgen.

Ein rasselndes Geräusch ließ mich hochfahren. Als hätte man mich bei etwas Verbotenem ertappt, ließ ich die Schranktür zufallen und trat hastig aus dem Badezimmer in den Gang. Das Geräusch kam von der Tür. Hanks Schlüssel schepperten beim Aufsperren gegen das Türblech.

Endlich war er wieder zu Hause. Ich wollte zur Eingangstür laufen, als ich plötzlich Stimmen hörte. Er war nicht allein.

"Geile Hütte, Alter." Die Stimme gehörte einem jungen Mann, der kaum älter als ich sein konnte.

"Danke. Willst du dich noch frischmachen oder gleich loslegen?" Hanks melodiöse Stimme versetzte mir einen regelrechten Schlag. Meine Brust schien sich zu einem schmerzhaften Knoten zu verformen. Ich drückte meinen Rücken gegen die Wand und schaute vorsichtig um die Ecke des Ganges. Was ging hier vor?

"Ich bin kurz im Bad, dann geht's los, Dad." Hank lachte über diesen Running Gag. Ich wusste, dass er gern so genannt werden wollte. Die ganze Vater-Sohn-Geschichte war ein geiles Rollenspiel im Bett.

"Um die Ecke und die erste Tür links. Aber beeil dich, Kleiner."

Ehe ich reagieren konnte, stand der Fremde plötzlich vor mir und fuhr erschrocken zusammen. Seine großen blauen Augen weiteten sich für einen Moment und ich schluckte kurz, als ich seine sandblonden, schulterlangen Haare und den trainierten Surferkörper sah, den er unter einer Short und einem Tanktop verbarg. Der Typ war all das, was ich nicht war.

"Scheiße, hast du mich erschreckt!" Er lachte in seine Hände und rief dann nach hinten in den Gang.

"Ich wusste gar nicht, dass du auf Dreier stehts, Dad."

Ich verstand die Welt nicht mehr. Ein kurzer Moment Stille, ehe Hank antwortete.

"Alles was du willst, Kleiner. Geiler Gedanke."

"Kostet aber extra."
Der blonde Junge lächelte mich verschmitzt an und ging ins Bad. Ich musste Hank zur Rede stellen. Wieso tat er mir das an? Er hatte nie erwähnt, dass ich ihm nicht genug war. Musste ich Hank von nun an mit diesem Fremden teilen? Würde auch er hier wohnen?

Ich schritt leise ins Schlafzimmer und erstarrte im Türrahmen. Hank war bereits bis zur Unterhose entkleidet und blickte mich mit hungrigen Augen an. Die Worte blieben mir im Hals stecken. Was erwartete er jetzt von mir?

Zögernd trat ich ins Zimmer und folgte Hanks Blick, nun auf den Jungen gerichtet, der durch die Tür schritt. Troy, so stand zumindest groß auf seinem Muskelshirt, leckte sich erregt die Lippen, als er Hanks Beule in seiner Unterhose erblickte, die mit jedem Moment größer wurde.

Seine Augen fielen auf mich und musterten meinen Körper ebenso gierig. Unter seinem Blick fühlte ich mich nackt und hilflos.

"Machst du mit oder schaust du nur zu?", fragte er schließlich.

Ich schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück. Troy genügte dies als Antwort. Hank stöhnte etwas, das ich nicht verstand und packte Troy mit kräftigen Armen von hinten. Gebrochen verfolgte ich das hemmungslose Liebesspiel. Hank leckte Troys Hals und zog ihm hastig die Kleider vom Leib. Seine unruhigen Finger strichen von hinten über Troys muskulösem Bauch und fassten in seine Unterhose, wo Troy dem fordernden Griff mit kreisenden Bewegungen seiner Hüfte folgte. Hank biss Troy verspielt ins Genick und warf ihn nach vorne auf den Bauch, um ihn mit einer raschen Bewegung die Unterhose vom Becken zu ziehen.

Hank verschwendete, wie immer, keine Zeit und holte ein Fläschchen Gleitgel unter dem Bett hervor. Er träufelte etwas davon auf Troys Arsch und seinen eigenen Schwanz und drang ohne große Umschweife in ihn ein.

Troys Augen waren die ganze Zeit auf mich gerichtet. Er leckte sich einladend über die Lippen. Die Szenerie war unwirklich und bedrückend. Mir blieb nichts anders übrig, als Troys Blick stand zu halten.

Hank hatte auch mit mir kein Kondom benutzt. Aber ich dachte es wäre Liebe und gebe keine anderen Männer mehr. Womöglich sollte ich mich testen lassen...

Troys Stöhnen brachte mich zurück in die Gegenwart. Hank drang immer tiefer und rascher in ihn ein. Sein schwerer Atem verriet, dass er kurz davor war, in ihm zu kommen.

Das Zimmer verschwamm vor meinen Augen. Waren es Tränen, die mir den Blick trübten?

Das Licht, das durch das Fenster drang, schien plötzlich einen rötlichen Farbton anzunehmen. Ich blinzelte kurz, um die Sinnestäuschung abzuschütteln, doch das Zimmer blieb in sanftes Rot getaucht, das mit jedem Wimpernschlag dunkler zu werden schien.

Der Fußboden begann sich zu bewegen, als stünde ich auf fließender Lava, die sich unter dem Bett ihren Weg suchte. Ich stand mit bloßen Füßen auf der glühenden Masse, spürte jedoch keinen Schmerz. Auch die Wände beganngen zu fließen  und wurden eins mit den wabernden Formen unter mir.

Angst breitete sich in meiner Brust aus. Nicht die Angst vor den seltsamen Farben oder den surrealen Formen, die sich um mich bildeten. Meine Angst war greifbar, als stünde etwas Schreckliches bevor, das ich nicht verhindern konnte.

Immer noch waren Troys Augen auf mich gerichtet. Innerhalb eines Wimpernschlags sah ich mich selbst in diesen Augen. Sah, wie ich am Bett lag, Hank schwer atmend auf meinem Rücken, sein heißer Samen tief in mir, als er sich hinter mir aufbäumte und mich vom Bett riss. Ich sah damals seine Hand nicht, die in der Seite der Matratze verschwand.

Sah das blitzende Metall nicht, das er hervorholte.

Mir blieb die Luft weg. Die schwelende Hitze um mich war unerträglich. Plötzlich stand ich wieder vor Troy und seinen durchdringenden Augen. Sah, wie Hank sich aufbäumte und in ihm kam. Sah, wie er mit einem Arm unter Troys Bauch griff, um ihn von hinten in eine knieende Position zu ziehen. Sah, wie Hanks Hand unter der Matratze verschwand und die altmodische Rasierklinge hervorzog, die er mit geübten Fingern aufklappte.

Troys Augen waren schwer. Er kam mit einem kehligen Laut und verteilte seinen Samen auf dem weißen Bettlaken. Die Luft im Zimmer schien zu kochen. Ich sah die beiden Männer vor mir als blickte ich durch Feuer. Ihre Formen verschwammen ständig und flackerten umher.

Hank hob seine Hand an Troys Hals und positionierte die Klinge beinahe sanft an seiner Halsschlagader, während Troy im Nachbeben seines Orgasmus mit geschlossenen Augen auf die Berührung seines Liebhabers wartete.

Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde um meine Entscheidung zu fällen. Die lodernden Farben erstarben und der Raum erkaltete. Alles war plötzlich klar vor meinen Augen.

Ich trat einen Schritt nach vor und berührte Hanks Schulter mit meiner Handfläche. Er zuckte unter meiner Berührung zusammen, als hätte ich ihn mit einem glühenden Eisen gebrandmarkt. Seine Hand zitterte und die Klinge entglitt seinem Griff, gerade als er sie sanft durch Troys Fleisch zog. Meine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Blut war auf dem Laken. Überall Blut.

Mein Blut...

"Scheiße, du hast mich geschnitten. Bist du verrückt, du Arschoch?"

Troy hielt sich seine Handfläche an seinen Hals und starrte entsetzt auf das Blut, das langsam seine Brust hinabfloss. Geistesgegenwärtig versetzte er Hank einen Schlag mit seinem Ellbogen und befreite sich aus seinem Griff. Hank fasste sich verwirrt an die Schulter, wo meine Berührung eine seltsame Rötung hinterlassen hatte und griff erneut nach der Klinge, die auf das Laken gefallen war. Troy rappelte sich auf und fischte nach seiner Hose.

"Komm her, Kleiner. Beenden wir, was wir angefangen haben." Hanks Stimme klang kalt und hohl.

Ich schämte mich. Schämte mich, so tiefe Gefühle für einen Mann wie ihn gehabt zu haben. Troys hilfloser Blick fiel wieder auf mich. Diesmal deutete ich zur Eingangstür.

"Lauf."
Der blasse Junge, blutend und verletzt, aber noch immer Herr seiner Sinne, sprang zur Tür und machte sich an den Sicherheitsschlössern zu schaffen, die Hank alle versperrt hatte. Die er immer versperrt hielt.

Ich erblickte den Wahnsinn in Hanks Augen, als er aufsprang und auf den Jungen zustürzte.

Meine Entscheidung hatte ich jedoch längst gefällt. Nie wieder würde ich zulassen, dass Hank sich an jemand anderem vergriff. Hank gehörte mir. Das hatte er mir versprochen. Es war an der Zeit, sein Versprechen einzulösen.

Er sprang aus dem Bett, im selben Moment, als ich das Bettlaken um seinen Knöchel wickelte. Stolperte. Verlor den Halt. Ich sah die Klinge  zu Boden fallen und folgte seinem schönen Körper in Zeitlupe, als er zu Boden ging. Ich stützte meine Hand auf einer schönen hölzernen Kommode ab und beobachtete Hanks Kopf, der immer näher an die scharfe Kante kam. Ich schloss kurz die Augen und blendete das unangenehme Geräusch aus, das Hanks Stirn beim Zusammenstoß mit dem Schrank erzeugte.

Als ich sie wieder öffnete sah ich die offene Eingangstür und die Blutspur des Jungen, die nach draußen führte. Sah Hank vor mir am Boden liegen, eine rote Pfütze unter sich, die sich immer weiter ausbreitete.

Armer Hank. Armer, verwirrter Hank. Was immer dich zu einem Monster gemacht hat, ist jetzt Vergangenheit. Nun bist du bei mir - für immer.

Ich strich sanft über seine nackte Schulter und hob seinen Körper leicht an. Er drehte seinen Kopf zu mir und blickte mich mit großen ungläubigen Augen an. Er war ein schöner Mann. Selbst die hässliche Wunde an seiner Stirn konnte daran nichts ändern.

Seine Augen starrten nach unten, Grauen verformte seine schönen Gesichtszüge. Ich konnte seine Gefühle nicht verstehen. Ich war bereits Teil einer anderen Welt, in der es mir nicht weiter seltsam erschien, dass Hanks lebloser Körper noch immer am Boden lag, obwohl ich ihn im selben Moment in meinen Armen hielt.

Er versuchte sich aus meinen Armen zu befreien und blickte entsetzt um sich. Unsere Füße verloren ihren Halt. Wir sanken immer tiefer nach unten. Ich küsste seinen Nacken und sein Gesicht, während Hanks Augen fassungslos unsere Umgebung abtasteten. Was mochte ihn wohl irritieren? Ein kurzer Blick verriet mir, dass wir nun im Keller seines schönen Hauses waren. Ein Schwarm Fliegen stob auf, als wir uns auf den Boden legten, um unser Liebesspiel fortzusetzen. Hank erblickte die halbverrottete Leiche meines Körpers in der Ecke als sähe er sie jetzt zum ersten Mal.

Ich beachtete sie nicht weiter. Ich hatte ja Hank. Mehr wollte ich nicht und mehr erwartete ich auch nicht. Hank begann lautlos zu schreien und wehrte sich gegen die Hände, die aus dem Erdreich nach oben griffen, um ihn und mich nach unten zu ziehen.

Himmel und Hölle? Gab es das wirklich? War es für mich das selbe wie für Hank? Ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen, als mit dem Mann meiner Träume für immer vereint zu sein. Zärtlich strich ich über seinen Rücken und versank mit ihm in der kühlen Erde. Seite an Seite in inniger Umarmung. Für immer.


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